Organisationale Narrative – ein neues Workshopformat

von Florian Markscheffel

In der letzten Woche wurden in der Stadtverwaltung meiner Forschungskommune erste Ergebnisse meiner Erhebung aus dem letzten Jahr vorgestellt. Hierzu wurde ein neues Workshop-Format entwickelt, das den Ansprüchen einer asynchronen Großgruppenveranstaltung unter Coronabedingungen erfüllte.

Ich habe bereits im letzten Jahr mehrere Narrative Interviews in meiner Forschungskommune durchgeführt. Bei dieser Methode stehen nicht so sehr die Fragen im Mittelpunkt – es geht vielmehr um das, was die Interviewpartner:innen zu erzählen haben. Die Gespräche waren eine Einladung, der Mitarbeiter:innen und Führungskräfte aus allen Hierarchieebenen und fast allen Dezernaten und Ämtern der Kernverwaltung gefolgt sind.

 

 

Die Ergebnisse habe ich in den letzten Monaten ausgewertet – die Interviewpartner:innen berichteten hauptsächlich über den aktuell laufenden Change Prozess, den die Stadtverwaltung vor einigen Jahren mitarbeiterbasiert initiiert hat. Aber auch weitere Themen wurden angesprochen – erfolgreiche Projekte, allgemeine Herausforderungen wie Generationenwechsel und Fachkräftemangel, und letztlich auch das alltägliche Arbeiten in der Verwaltung.

 

Die Besonderheit der Methode der Narrativen Interviews besteht darin, durch die erzählten Geschichten ein größeres Verständnis über nicht offensichtliche und manchmal auch unbewusste Strukturen zu erlangen. Dies können Dinge sein, die für die Interviewpartner:innen so normal in ihrem Arbeitsalltag sind, dass diese nicht explizit erwähnt werden – beispielsweise bestimmte Routinen, angemessenes Verhalten oder der Umgang mit Kolleg:innen und der Hierarchie.

 

In all den verschiedenen Erzählungen fanden sich letztliche wiederkehrende Gemeinsamkeiten: Organisationale Narrative, die konstituierender Bestandteil der spezifischen Organisationskultur sind. Aus den Interviews konnten mehrere übergreifende Aussagen verdichtet werden, wie wie Core Stories das Handeln der Akteure in der Verwaltung beeinflussen.

 

Diese Aussagen wurden und werden oftmals mit einem Augenzwinkern getätigt – mit dem Beisatz, dass man dies „hier halt so sagt“, oder es „hier eben so ist“. Wie beschrieben, sind diese Aussagen normal im Arbeitsalltag und gehören zu der Kultur der Organisation. Und durch die beständige (bewusste wie unbewusste) Reproduktion der Aussagen werden diese weiter verfestigt und neben den Maßnahmen des Change Prozess mit in die Zukunft getragen. Ein tatsächlicher Wandel, der explizit auch die Zusammenarbeit und weitere Prozesse adressiert, wird so erschwert, da sich die Neuerungen in die alten Narrative einfügen müssen.

 

Um hier im Sinne der Transformativen Forschung anzusetzen, wurde der Workshop durchgeführt. Da die gesamte Verwaltung (inklusive nachgeordneter Einrichtungen) eingeladen wurde, war ein Konzept nötig, dass neben der potentiellen Einbindungen aller eingeladenen Personen auch unter den Corona-Bedingungen (Abstand, maximale Anzahl, etc.) sowie der asynchronen Teilnahme (die Mitarbeiter:innen konnten innerhalb eines Rahmens von fünf Stunden flexibel je nach Kapazität teilnehmen) funktionieren würde.

 

Mit der Hilfe erfahrener Organisationsentwickler:innen entwarf ich somit eine Art Ausstellung, die für fünf Stunden zugänglich war: Wie im Foto erkennbar, wurden insgesamt 12 Stellwände im Ratssaal aufgestellt. Die ausgestellten Plakate enthielten an den ersten drei Stationen zunächst einführende Informationen zum Format, dem Graduiertenkolleg und meiner Forschung.

Danach folgten drei Stellwänden, die die angesprochenen Aussagen explizit darstellten. Die Teilnehmenden hatten an diesen Stationen die Möglichkeit, selbst Rückmeldung zu geben, wie oft diese Aussagen von Kolleg:innen gehört werden, und wie oft man sich dies selbst denkt. Auch wurden weitere Geschichten und Erfahrungen mit diesen Aussagen im Arbeitsalltag gesammelt. Dabei konnten sich die Teilnehmenden an Tischen zusammensetzen und austauschen und somit die Auswirkungen der Aussagen für ihr individuelles Arbeiten reflektieren. Die Geschichten wurden auf den Stellwänden gesammelt und informierten und inspirierten so weitere Personen.

Es folgte nach einer weiteren Stellwand zum Thema der Organisationskultur ein weiterer Block von drei Stationen, die die dargestellten Aussagen umdrehten. Methodisch wurde hier zur Visionierungen einer alternativen mögliche Zukunft im Arbeitsalltag die Wunderfrage von Steve de Shazer eingesetzt und für den Kontext der Organisationskultur adaptiert. Die Teilnehmenden versetzten sich gedanklich in ein mögliches Arbeitsumfeld, in dem die Aussagen eine geänderte Formulierung haben, und sammelten, was sich verändern würde.

Ziel war dabei aufzuzeigen, dass die Reproduktin der organisationalen Narrative durch neue Erzählungen und ein verändertes Handeln durch die Einzelnen möglich ist.

 

Die Ergebnisse der Rückmeldungen zu den drei Aussagen sowie die gesammelten Geschichten werden nun ausgewertet und wiederrum der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt. Die gewonnenen Einsichten in die unbewussten Narrative könnten so in die weitere Umsetzung des Change Prozesses mit einbezogen werden!